PRESSEMITTEILUNG
4. April 2015
Wie übersetzt man „nelecom“ ins „Ungarndeutsche“?
LdU-Delegation unternahm Studienreise nach Thüringen
Ungarndeutsche Kommunen, deren Einwohnerzahl kontinuierlich zurückgeht; wo immer weniger Jugendliche sesshaft bleiben, weil sie ein Leben und eine Karriere in den Städten anstreben; wo es nur noch einen kleinen Kern von engagierten Leuten gibt, die sich für ihre Kommune einsetzen wollen; wo die Ungarndeutschen zahlenmäßig immer weniger werden: um diesem demografischen Wandel und dessen Folgen entgegen zu steuern, sucht die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (LdU) seit langem nach effektiven Methoden und Ideen.
Die LdU pflegt gute Beziehungen zu Thüringen, vor allem zu ThILLM, dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien, welches in diesem Bundesland das Modellprogramm „nelecom – Neue Lernkultur in Kommunen“ bereits seit Jahren erfolgreich durchführt. In diesem Projekt nehmen mittlerweile 32 Thüringer Ortschaften bzw. Landkreise teil, bilden ein Netzwerk, wodurch Kinder, Kultur und Kommune gleichzeitig gefördert werden.
Eine achtköpfige Delegation der Ungarndeutschen – bestehend aus zwei Personen aus Schomberg in Süd-Ungarn, zwei Personen aus Sanktiwan bei Ofen und vier Vertretern der Landesselbstverwaltung – unternahm zwischen dem 22. und 25. März eine Studienreise nach Thüringen, um das nelecom-Projekt eingehender kennen zu lernen.
„Dieses Projekt habe ich vor einigen Jahren kennen gelernt, und die Idee gehabt, dass die einzelnen Inhalte des Projekts sehr gut auf ungarndeutsche Gemeinden übertragbar wären“ – erzählt Ibolya Hock-Englender, für strategische Fragen im Bildungswesen zuständige Beirätin der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen. „Der Grund, warum wir nach Deutschland gefahren sind, ist, um den zwei Gemeinden, die als Pilotgemeinden für unser geplantes ungarndeutsches Projekt in Frage kommen, die Aktivitäten hier zu zeigen, damit sie dann Ideen für ihr Vorhaben in Ungarn bekommen. Unser Ziel ist, in einer Gemeinde die verschiedenen Einrichtungen, wie Vereine, Bildungseinrichtungen, deutsche Selbstverwaltung und die kommunale Selbstverwaltung zu einer aktiveren Zusammenarbeit zusammen zu bringen.“
Wie können Vertreter einer Kommune gemeinsame Träume, Visionen und Wünsche bezüglich ihrer engeren Heimat formulieren? Wie können diese Visionen in Projekte umgesetzt werden? Wie kann in einer Kommune eine Schlüsselperson gefunden werden, die dazu fähig ist, ihre Mitbürger – Große und Kleine – zum Mitmachen zu motivieren? Wie bleiben solche Initiativen nachhaltig? Mitarbeiter von ThILLM begleiteten die ungarndeutsche Gruppe zu Fachgesprächen, die ähnliche Fragen zu beantworten versuchten. Im Thüringischen Ministerium für Bildung, Jugend und Sport traf man sich zu einem Erfahrungsaustausch mit Vertretern des Ministeriums und mit Regionalbegleitern aus den nelecom-Regionen. Anschließend besuchte die Delegation Schauplätze von zwei nelecom-Projekten: Einerseits ging es nach Weimar, zu Radio Lotte. Dieses Radio zieht Jugendliche in seine Arbeit mit ein, lässt sie ihre eigene Rundfunksendung über nelecom selber redigieren, zusammenstellen und moderieren. Die Gruppe besuchte auch die Thüringische Kleinstadt Schmalkalden, wo man unter anderem auch einen sogenannten Energiegarten zustande gebracht hat. Acht Schulen, die Stadt und das Landratsamt Schmalkalden-Meiningen haben mehr als 4 Jahre lang am Entstehen das Gartens gemeinsam gearbeitet: zusammen Ideen entwickelt, Garten geplant, Bauarbeiten betreut, gepflanzt und Umweltbildungsveranstaltungen ausgetragen. Der Erfolg des Projekts bewirkte, dass der Energiegarten der eine Schauplatz der im April beginnenden 3. Thüringer Landesgartenschau wird.
„Demografischer Wandel und die voranschreitende Globalisierung sind Herausforderungen für die Menschheit, auf die nelecom eine gute Antwort ist“ – fasst Netzwerkkoordinator Uwe Sommermann die bisherigen Erfahrungen des Thüringer Bildungsmodells zusammen. „Nelecom ist ein sehr langwieriger Prozess, der nicht mit zehn oder fünfzehn Jahren abgeschlossen werden kann. Wir können aber schon jetzt feststellen, dass die Menschen, die an nelecom teilnehmen, eine andere Haltung haben. Man merkt bei den Jugendlichen – aber eigentlich generationsübergreifend -, dass man miteinander in Austausch kommt, miteinander viel mehr redet. Alle Beteiligten sagen, dass sich das Klima, die Zusammenarbeit innerhalb der Kommune verändert hat, und dass nicht mehr jeder für sich arbeitet, sondern, dass mit anderen kooperiert wird. Ich rate den Ungarndeutschen zu, ihr eigenes Projekt durchzuführen!“
Mit vielen Erfahrungen, neuen Gedanken und handfesten Materialien kehrte die Delegation nach Ungarn zurück. In wenigen Wochen – direkt nach Ostern – plant man das Konzept und die konkrete Struktur der beiden Pilotprojekte festzulegen. Geplant ist, in Schomberg und Sanktiwan je einen ungarndeutschen Lehrpfad zu errichten, der als Ergebnis umfänglicher Kooperation zustande kommen soll. Die Mitspieler hierbei sollen vor allem die vor Ort funktionierenden Institutionen (so Kindergarten, Schule, Seniorenheim, Kultureinrichtung), kommunale und Nationalitätenselbstverwaltung, sowie Zivilorganisationen (Tanzgruppe, Musikkapelle, Chor, weitere Kulturgruppen) sein.
Man erhofft sich vom Projekt, dass diese Akteure um ein gemeinsames Ziel, nämlich das Zustandebringen einer neuen Attraktion des Dorfes, noch enger miteinander kooperieren, sich besser kennen lernen, eine starke Identität mit dem Ungarndeutschtum und dem Heimatdorf entwickeln, und dadurch eine längere Zukunft vor Ort planen werden. In dem Heimatdorf nämlich, wo alle Altersgruppen in der Kommune aktiv werden: wo Senioren tatkräftige Mitgestalter des kommunalen Lebens sind und als erfahrene Mitbürger behilflich sind und mit gutem Beispiel vorangehen; wo Jugendliche ernst genommen werden, mitreden und mitentscheiden dürfen; wo traditionelle ungarndeutsche Werte mit modernen Ansätzen in Einklang gebracht werden; wo Zusammenarbeit, Innovation, Kreativität und Vielfalt gefragt sind; wo nach einer Lösung für die Zukunft gesucht wird.
Weitere Informationen:
Ibolya Hock-Englender, für strategische Fragen im Bildungswesen zuständige Beirätin der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen: hockibi@dus.sulinet.hu
Ibolya Sax, Bildungsreferentin der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen: saxibolya@ldu.hu